... auf, preiset die Tage ...

Kraftvoll und Lebensfreude pur - so begann und beendete John Neumeier sein Ballett zum Weihnachtsoratorium. Es war ein wunderschöner Abend.

Bis zum letzten Platz schon lange ausverkauft bemühten wir uns alle, unsere (Jahreszeit bedingten) Hustenanfälle im Zaum zu halten und uns der Musik und Anmut der Darsteller hinzugeben. Und das gelingt ja noch viel leichter, wenn man dafür die (fast) drei Stunden nicht auf harten Bänken in mäßig geheizten Kirchen ausharren muss ...

Das Wetter hat sich meiner Stimmung angepasst - alles grau in grau. Sofa- und Wolldeckenwetter. Nach fast drei Wochen hartnäckiger Erkältung sollte sich diese doch endlich mal verflüchtigen und Platz für gute Laune machen.

Ich lese wahllos vor mich hin. Gestern Horst Evers "Für Eile fehlt mir die Zeit", heute Daniel Glattauer "Darum". Konnte ich bei Herrn Evers noch gut schmunzeln, ziehe ich mir bei Herrn Glattauers düsterem Werk die Decke noch etwas höher und sinke tiefer in meine Kissen.

Und vor lauter Selbstmitleid vergesse ich fast, mich auf heute Nachmittag / Abend zu freuen - Weihnachtsoratorium als Ballett in der Staatsoper. Na, wenn da nicht die Sonne aufgeht ...

- Kann ich dieses Kleid zur Trauerfeier tragen oder ist es zu kurz, frage ich die P. und den R.

- Klar, wieso? sagt die P. Das ist doch schlicht und tot-chic!

Die P. stutzt, der R. stutzt, ich stutze.

So kann man es natürlich auch sagen. Wir sehen uns an und prusten dem Anlass völlig unangemessen los ... Aber manche Dinge lassen sich auf diese Art viel leichter ertragen. Ich bin sicher, dass mein Vater irgendwo da oben mit geschmunzelt hat.

Ein paar Schachteln mit Tannenbaumkerzen, einen neuen Mascara ... ich stehe also an der Kasse im Drogeriemarkt. Ein Mann hat es eilig, drängelt zur Kassiererin vor.

- Nur mal kurz eine Zwischenfrage. Braucht man für eine elektrische Zahnbürste eine spezielle Zahnpasta?

- Äh, nee. Eigentlich nicht.

- Ja, aber. Ich habe mir eine elektrische Zahnbürste gekauft und nun werden meine Zähne nicht mehr sauber!

Ratloser Blick der Kassiererin.

- Äh, vielleicht dürfen Sie nicht so kräftig drücken...?

- Hm.

Der Mann ist eindeutig nicht überzeugt von dem Hinweis. Die Verantwortung für den mäßigen Erfolg seiner neuen Anschaffung kann gar nicht bei ihm liegen, die Schuld liegt eindeutig bei der Kassiererin - das vermittelt sein abfälliges Gemurmel und sein missbilligender Blick.

Können diese jungen Frauen, während sie beim nächsten Kunden kassieren, nicht mal schnell zwischendurch eine kompetente Unterweisung in Zahnpflege leisten? Dann hätte er ja auch gleich seinen Zahnarzt fragen und sich den Weg in den Drogeriemarkt sparen können ... ;-)))))

Gestern in der Umkleide des Fitnessstudios - drei Schränke weiter - sprach mich eine Frau an:

- Wir kennen uns doch!

Hm? Jaaa? Aber woher?

- Wir haben doch zusammen ...

Stimmt. Aber das ist 14 Jahre her! Und viel hatten wir damals nicht miteinander zu tun.

Wir sind dann zusammen in die Rückengymnastikstunde geeilt. Anschließend haben wir die Bank in der Umkleide belagert und geplaudert als hätten wir uns gestern zuletzt gesehen. Ein Schnelldurchgang durch die jeweilige Vergangenheit und dann: "Weißt du noch ...", "Erinnerst du ..." und "Wie hieß der/die man noch ..."

Eine seltsame Vertrautheit, die nur auf den intensiven zwei Jahren beruht, die wir irgendwie nebeneinander her verbracht haben ...

Immer weiter, immer schneller. Ein paar 100 Meter weiter, ein paar Sekunden schneller.

Ich hänge beim Joggen meinen Gedanken nach - dies und das. Manchmal schleppe ich schwer an Erinnerungen, manchmal treiben sie mich leicht voran.

Und manchmal laufe ich meinen Gedanken einfach davon ...

Gestern Abend ist Eugenie gestorben.

Als ich heute ins Hospiz kam, brannte am Eingang eine Kerze für sie. Auf ihrem Gesicht lag Ruhe und Frieden. Sie war wunderschön.

Mir sind in den letzten Wochen ein wenig die Worte verloren gegangen, ich versuche es aber mal.

Eugenie geht es nicht gut. Trotzdem schafft sie es immer wieder, sich gesundheitlich zu stabilisieren. Es geht auf und ab, wie in kleinen Wellenbewegungen. Die Medikamente werden erhöht, dann gibt es Nebenwirkungen, dann gibt es wieder weniger Medikamente und/oder etwas gegen die Nebenwirkungen.

Eins ist aber konstant - Eugenies positives Interesse am Geschehen in meinem Leben, am Geschehen im Blog und am Geschehen in der Welt. Meine Besuche bei ihr bestehen immer aus ein paar Handreichungen, die ich für Eugenie erledigen kann, und in erster Linie aus einem ausführlichen Plausch. Wir haben auch im Hospiz die Normalität unseres Beisammenseins nicht aufgegeben. Die Themen der Normalität haben sich etwas verändert, in einem schleichenden Prozess - aber, wie gesagt, es ist Normalität.

Und gelacht wird auch. Ich mag es gar nicht wirklich erzählen, es ist etwas peinlich, aber warum nicht:
Bei meinem Besuch vor 14 Tagen bei Eugenie mussten die Krankenschwestern sich doch tatsächlich um meinen Kreislauf kümmern. Und das, weil Eugenie eine Spritze bekommen hat. Dabei hatte ich nicht einmal hingesehen! Ich weiß, peinlich. Seither werde ich mit einem verständnisvollen Lächeln in eine Ecke des Raumes verwiesen wenn es soweit ist - weit weg aus der Reichweite jeder Spritze.

Wer es bei Eugenie noch nicht gelesen hat: Ich soll alle ganz herzlich grüßen, besonders als Resonanz auf die letzten Kommentare bei ihr und anders in Auftrag gegebene Grüße.

Bepackt mit Plakat und allen lieben Grüßen bin ich heute zu Eugenie ins Hospiz gefahren. Sie freut sich sehr, dass so viele Blogger und Bloggerinnen an sie denken.

Ich soll allen Eugenies Dank ausrichten und natürlich ganz herzlich von ihr zurückgrüßen!