So stelle ich mir den Sommer vor! Heute Morgen ist er im hohen Norden tatsächlich zu erleben. Sonne pur, milde 14 Grad, windstill. Also ideal zum Joggen ...

Ich bin also gleich nach dem ersten Kaffee in die Sportschuhe gesprungen und meine zwei Runden um den See gelaufen. Das sind so ungefähr 8 km. Nach diesem Start kann der Tag doch eigentlich nur gut werden ...

Eugenie Faust betreibt nicht nur ein kleines Café sondern auch ein winziges Nagelstudio. Ich bin ihre einzige Angestellte und sie ist meine einzige Kundin. Öffnungszeiten freitags nach Bedarf.

Ich habe heute also Fingernägel geschnitten und gefeilt. Während Frau Faust geduldig still hielt, habe ich mir jede Mühe gegeben, den Unterschied zu einem Profi nicht zu offenkundig werden zu lassen.

Nach vollbrachtem Werk unterzog Eugenie dieses der genauen Prüfung und meinte, ich sei "Luxus pur". Hätte das doch bloß mal jemand während meiner tatsächlichen beruflichen Laufbahn zu mir gesagt und es halbwegs auch gemeint. Eugenie, ich habe noch nie für jemanden so gern "gearbeitet" wie für dich. Zumal dabei wieder ein richtig netter Plausch abfiel ...

Auf jeden Fall winkt Frau Faust heute lächelnd und mit frisch manikürten Händen in die Runde ... ;-)

Heute gab es keine Ausrede mehr - das Wetter war ideal. Ich habe meinen Drahtesel aus der Hütte geholt, ihn geputzt und ihm auch gleich eine Ausfahrt versprochen.

Beim Fahrradfahren bin ich ja ein richtiges Weichei. Da muss alles stimmen:
- Möglichst viel Sonne, ausreichend Wärme
- max. 1 - 1 1/2 Windstärken
- auf gar keinen Fall Regen!

... und diese Bedingungen - man sollte es kaum glauben - erfüllte der heutige Tag ...

Ich war ja zunächst etwas zögerlich, weil ich mir gleich eine etwas längere Strecke vorgenommen hatte, aber - was soll ich sagen - ich bin wohlbehalten wieder zu Hause angekommen. Das sehen meine Knie zwar anders - sie maulen schmerzhaft vor sich hin -, aber ich bin mit mir und meiner Tour sehr zufrieden!

Sonnen-Stunden im doppelten Sinne, die Stimmung im "Café Faust" passte sich heute dem schönen Wetter einfach an.

Worüber wir geplaudert haben:
- Über die Wetteraussichten
- dass duftende Rosen so selten zu bekommen sind wie T-Shirts aus 100% Baumwolle
- die (Un-)Wahrscheinlichkeit der Wiedergeburt und was wir so aus früheren Leben erinnern
- Prognosen für die Bundestagswahl: Wer mit wem ... und wenn man den Akteuren aus "Neues aus der Anstalt" glauben will, ist alles nur gruselig ...
- den Charme von aufgeräumten Küchen
- Nützlichkeit von Heiligen und der Mutter Maria
- und dann noch das eine und andere ...

Auf jeden Fall hatte unser Zusammensein heute eine wunderbare Leichtigkeit und wir winken hiermit allen einmal herzlich zu ...

Ich habe just ein paar Worte mit Frau Faust am Telefon gewechselt:

Sie schwimmt gerade oben auf dem "Auf und Ab der Wellen", die Stimmung ist etwas besser. Sie hat sich über die Wünsche und Grüße sehr gefreut und hat ein Lächeln durch die Leitung geschickt. Das gebe ich hiermit weiter ... ;-)

Frau Faust meinte, das schöne Wetter (jawohl - strahlendblauer Himmel über Hamburg!) passe nicht zu ihrem derzeitigen Befinden. Sie war sehr blass als ich heute zu unserem Freitagstreff kam, fühlte sich müde und bedrückt. Wir haben ein wenig über dies und das geredet, und die Tränen sind dann einfach so gekullert ...

Aber stark wie Eugenie ist, hatte sie sich schnell wieder im Griff. Ein Kaffee musste helfen, das "einmal Drücken" von Lo hat sie eingefordert (habe ich wie zugesagt vorsichtig ausgeführt!) und wir haben versucht, unsere gewohnte - uns auch von Jossele gewünschte - Normalität zu leben. An einem Tag wie diesem ist das nicht so einfach, aber ein Stück weit haben wir es wieder geschafft, nicht wahr, Eugenie Faust!?

Heute ist zwar nicht Freitag, aber ich kann von einem Mittwoch-Besuch bei Frau Faust berichten.

Seit ein paar Tagen geht es Frau Faust schlechter. Sie isst wieder weniger und nach einem Kaffee stand ihr heute auch nicht wirklich der Sinn.

Frau Faust behauptet zwar, während meines Besuchs unendlich viel gejammert zu haben, aber das kann ich nicht bestätigen. Wir sprachen zwar auch über Krankheit, Schmerzen, Fieber und Ängste. Aber, meine liebe Eugenie, unter "Jammern" verstehe ich etwas anderes. Ich habe dich noch nie jammern gehört!!!

Neben diesen Themen gibt es halt auch anderes, z.B. die Freude über gute Wünsche bei Eugenie Faust und die Bestellung unter "Café Faust" ist ebenfalls freundlichst entgegengenommen worden. So leben wir ein wenig "Normalität".

Kennen Sie "Die Geschichte mit dem Hammer" von Paul Watzlawick? Aus "Anleitung zum Unglücklichsein"?

Grobe Kurzfassung: Ein Mann benötigt einen Hammer, hat aber keinen. Also überlegt er, sich einen vom Nachbarn zu leihen. Dabei überkommen ihn jedoch Zweifel, ob der Nachbar dazu wohl bereit wäre und er steigert sich in Überlegungen hinein, die ihn endlich dazu bringen, beim Nachbarn zu klingeln und zu sagen: "Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!"

Warum ich diese Geschichte erzähle? Sie fiel mir ein als ich mich heute Mittag auf meiner Joggingrunde dabei ertappte, dass ich mich in einem inneren Dialog wieder einmal mit Hundebesitzern über Leinenzwang auseinander setzte. Ungefähr so:

- Halten Sie doch bitte ihren Hund fest!
- Wenn Ihr Köter nicht Jogger-tauglich ist, halten Sie ihn doch bitte an der Leine!!!
- Ihnen sollte die Tierhaltung verboten werden. Ihre Bestie fällt mich an - halten Sie das Ungeheuer doch fest ...!!!!!

Und dann rief ich mich zur Ordnung und stellte fest, dass der Hundebesitzer mit seinem friedlich vor sich hin trabendem Vierbeiner längst die Abzweigung auf einen anderen Weg genommen hatten und ich ganz ohne zerfetzte Wade meinen Weg fortsetzen konnte.

Meine Angst vor Allem, was man so in den Bereich der Tierwelt zählt, macht mir meinen Alltag auch nicht gerade leichter ...